Am Bettler vorbeigelaufen: Zu Recht ein schlechtes Gewissen?

Berlin – Manche Frage traut man kaum zu stellen – nicht einmal dem Partner, und auch nicht einem Arzt oder Anwalt. Das Thema ist unangenehm, der Einblick in die persönlichen Lebensumstände könnte peinlich und tief werden, vielleicht drohen sogar rechtliche Konsequenzen.

Doch wie gut, dass einen Freund gerade ganz genau dasselbe Problem beschäftigt. Fragen wir also doch mal für ihn…

Die Frage heute: Mein Freund ist im Urlaub einfach an einem Bettler vorbeigelaufen. Muss er sich jetzt schlecht fühlen?

Die Antwort: Bedürftiger Blick, ausgestreckte Hand, womöglich noch ein Kind auf dem Arm: Bettler, die um eine Gabe bitten, erzeugen oft Mitleid – und ein schlechtes Gewissen. Schließlich will man nicht jedem etwas geben. Besonders auf einer kostspieligen Urlaubsreise kann sich das schlecht anfühlen.

«Gewissen bedeutet nichts anderes als ein Vergleich zwischen dem, der ich bin, und dem, der ich sein möchte», sagt Prof. Torsten Meireis von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin. Die Frage wäre dann also: Will der Freund jemand sein, der die Not unverschuldet schlechter gestellter Menschen lindern hilft oder nicht? «Das kann er sich natürlich nur selbst beantworten», sagt der Theologe.

Denkbar ist folgender Gedanke: Bettler gibt es überall, vielleicht sind sie sogar faul und wollen nicht arbeiten. «Wenn ich das so sehe, brauche ich mich nicht weiter aufregen. Aber dann muss ich das auch wirklich glauben», betont Meireis. Häufig befällt den Freund aber eben doch das schlechte Gewissen. Der Bettler könnte ja sehr wohl ohne eigenes Verschulden in seine Lage geraten sein – besonders in Urlaubsländern, in denen Armut verbreitet und individuelle Verbesserungschancen rar sind.

Wer nun jemand sein will, der Menschen in Not hilft, der muss weitere Überlegungen anstellen: Wie kann er am besten helfen?

«Großzügigkeit ist erst einmal gut. Wer gibt, gewinnt», sagt Meireis. «Aber die Hilfsmöglichkeiten durch Spenden auf der Straße sind begrenzt.» Hinzu kommt auf Reisen eine gewisse Unsicherheit über die Verhältnisse vor Ort: Sind die Bettler auf der Straße wirklich hilfsbedürftig? Sind sie vielleicht sogar kriminell organisiert?

Die Alternative zur Straßenspende könnte die Spende an eine seriöse Hilfsorganisation sein. Meireis rät Urlaubern mit diesem Anliegen, sich schon vor der Reise zu informieren, welche Einrichtungen es vor Ort gibt, die man unterstützen kann.

Ist es auch vertretbar, wenn der Freund dem Bettler nur etwas gibt, um sich selbst besser zu fühlen? Durchaus, findet der Theologe: «Wirklich besser fühlen kann ich mich ja nur dann, wenn ich etwas tue, das jemandem nützt – und helfen ist besser als unterlassen.» Die Frage des Nutzens sei hier ein Teil der persönlichen Gewissensfrage.

Fotocredits: Andy Rain
(dpa/tmn)

(dpa)
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