Das Verlangen nach mehr: Nagelsmanns erstes Bundesliga-Jahr

Zuzenhausen (dpa) – Ein Reporter einer Schülerzeitung wollte von Julian Nagelsmann mal wissen, ob 1899 Hoffenheim deutscher Meister werde könne.

Die Antwort war typisch für den Trainer-Aufsteiger: locker, aber präzise, humorvoll und dennoch den Fragesteller ernst nehmend. «Theoretisch ja. Von den Regeln her dürften wir das. Aber das wird schwer.»

Den Titel werden die Kraichgauer wohl so schnell nicht holen, unter Nagelsmann hat die TSG jedoch einen beachtlichen Aufschwung genommen. Zu seinem einjährigen Dienstjubiläum treten seine Hoffenheimer am Sonntag (15.30 Uhr) beim VfL Wolfsburg an.

Dass der Tabellenfünfte in der Rückrunde einbricht, kann sich derzeit kaum jemand vorstellen. Eher dass die TSG erstmals die Teilnahme am Europapokal erreicht. Verantwortlich dafür ist in erster Linie «Der Junior-Chef», der nur ein Jahr brauchte, um die Liga aufzumischen – wie der «Kicker» diese Woche titelte. Für Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp ist Nagelsmann «nicht nur ein ungewöhnlicher Trainer und ungewöhnlich jung», er hält den mit 29 Jahren jüngsten Chefcoach der Bundesliga-Historie auch für «außergewöhnlich intelligent».

Geradeaus, manchmal ein bisschen schnoddrig, aber immer im rechten Moment auch relativierend – so tritt Nagelsmann bisher auf. Sein Witze gehen nicht auf Kosten anderer, da nimmt er sich lieber selbst auf die Schippe («Ich hab eh schon Geheimratsecken bis zum Himmel»). Sein Ehrgeiz ist mit Sicherheit ähnlich ausgeprägt wie bei seinen Hoffenheimer Vorgängern Ralf Rangnick und Markus Gisdol. Ihn zeichnet jedoch auch der nötige Schuss Lockerheit aus.

Nagelsmann ist wie die Generation Thomas Tuchel ein Taktik-Nerd, aber er sagt auch: «Taktik macht 35, vielleicht 40 Prozent aus. Der Rest ist vor allem Teamführung.» Der «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» verriet er, dass er selbst einen Coach habe (der nicht aus dem Fußball kommt), «mit dem ich zusammenarbeite, um mich weiter zu entwickeln»: Lerntheorie, Motivation, Teamführung. «Ich mache viel aus meiner Überzeugung und Intuition heraus. Ich verstelle mich nicht.» Auch deshalb wirkt er weit weniger verbissen als Trainerkollegen wie Tuchel, Roger Schmidt oder Gisdol.

Sein Training ist überaus abwechslungsreich und anspruchsvoll. Manchmal, erklärte er, überfordere er die Spieler bewusst. Um sie dann auch regelmäßig einfach nur kicken zu lassen ohne groß nachzudenken. Nagelsmann kommen morgens im Bad nach eigenen Angaben die besten Spielideen, die er auf einem Schmierzettel notiert. Er hat seine «Prinzipien des Konterspiels» – die er natürlich nicht verrät.

Immerhin, so viel erklärte Nagelsmann mal: Er will von seinen Profis, dass sie lieber Passoptionen versperren und Bälle erlaufen als sich in Zweikämpfe mit ungewissem Ausgang verwickeln. Und er versucht ihnen zu vermitteln, dass sie in der Offensive mit zwei statt einem Ballkontakt agieren, um Fehler zu minimieren. Über den Trainingsplatz lässt er schon mal eine Drohne fliegen, um anschließend die Videos auszuwerten und seinen Schützlingen vorzuführen.

Das Ergebnis all dessen ist ein attraktives Spiel mit konsequentem Pressing. «Eklig», beschrieb die «Süddeutsche Zeitung», sei das Auftreten der einst so braven Hoffenheimer geworden. Neuzugänge wie Torjäger Sandro Wagner, «ein Drecksack im besten Sinne» (Nagelsmann), oder Abwehrchef Kevin Vogt und auch der Wandel von Nationalspieler Sebastian Rudy zum «aggressive Leader» verkörpern dies.

Sportchef Alexander Rosen lobte die «permanente Unzufriedenheit, das Verlangen nach mehr», was Nagelsmann bei Rudy und Co. geweckt hat. Der Trainer-Novize schafft es zudem, den gesamten Kader bei Laune zu halten: Steven Zuber, Benjamin Hübner und Mark Uth sind Beispiele dafür, dass fast jeder jederzeit in die Mannschaft rücken kann.

1,72 Punkte hat Nagelsmann im Schnitt pro Bundesliga-Spiel geholt. In der so genannten «Nagelsmann-Tabelle» waren in den vergangenen zwölf Monaten nur Bayern München und Borussia Dortmund erfolgreicher als die TSG. Die Folge: Mittlerweile wird er sogar schon als möglicher Bayern-Trainer der Zukunft gehandelt. In München könnte Nagelsmann jedenfalls viel leichter deutscher Meister werden.

Fotocredits: Uwe Anspach

(dpa)
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