Die Last mit den «Dieselgate»-Klagen

Wolfsburg – Wer die jüngsten Auto-Verkaufszahlen ansieht, muss

annehmen, dass VW im Geld schwimmt. Trotz «Dieselgate» liefert der

Konzern immer mehr Fahrzeuge aus. Die Kassen des Autoriesen, der

allerdings auch den tiefgreifenden Wandel in der Branche hin zu

E-Mobilität und Digitalisierung finanzieren muss, sind gut gefüllt.

Aber wären sie das auch, wenn Volkswagen seine Kunden in Europa wie

in den USA nach der Abgas-Affäre hätte entschädigen müssen? Über 25

Milliarden Euro nahm man dort in die Hand, um die juristischen Hürden

wegzuräumen. Und in Europa? Setzt VW hier ganz bewusst auf Vergleiche

mit klagenden Autobesitzern, wie Anwälte den Wolfsburgern vorwerfen?

Das Unternehmen macht klar, dass die Zahl der Vergleiche gemessen an

der Gesamtzahl der Verfahren gering sei. Ob sich der Konzern für

einen außergerichtlichen Vergleich entscheide, sei von

wirtschaftlichen Gesichtspunkten und jedem Einzelfall abhängig.

Christopher Rother, Anwalt der US-Kanzlei Hausfeld, sagt allerdings,

es sei deutlich, dass eine Absicht dahinterstecke. VW vergleiche sich

erst in der Berufungsinstanz, bevor das jeweilige Gericht die Chance

habe, eine Entscheidung zu fällen. Ende dieses Jahres verjähren

seinen Angaben zufolge Ansprüche, daher sieht Rother eine «sehr kluge

Prozessstrategie». So werde eine abschließende gerichtliche Klärung

der Frage, ob VW als Hersteller schadenersatzpflichtig ist,

verhindert: «Die Strategie ist weitgehend aufgegangen.»

Müsste Volkswagen dagegen sämtliche Kunden mit Betrugsdieseln wie in

den USA entschädigen, dann wäre das bei einem durchschnittlichen

Streitwert von 25 000 Euro «wirtschaftlich nicht zu stemmen», glaubt

Rother. Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein: Auch der

frühere VW-Konzernchef Matthias Müller hatte seinerzeit argumentiert,

Entschädigungen wie im US-Maßstab würden Volkswagen ruinieren.

Wie viele zivilrechtliche Auseinandersetzungen gibt es? Insgesamt

sind in Deutschland rund 23 100 Verfahren von Autobesitzern, die

einen manipulierten Diesel aus der VW-Gruppe fahren, anhängig. Rund

6000 Urteile in Sachen Diesel gibt es bisher – nach Angaben aus

Konzernkreisen überwiegend ohne Erfolg für die Kunden.

Die bislang erst elf Urteile an Oberlandesgerichten (OLG) fielen

demnach allesamt im Sinne des Herstellers oder seiner Händler aus.

Darüber hinaus gebe es zahlreiche Zurückweisungsbeschlüsse von

Oberlandesgerichten, auch diese in der «überwiegenden Mehrheit»

zugunsten von Volkswagen. Gleichzeitig lag die Netto-Liquidität von

VW zum 30. Juni bei knapp 26,3 Milliarden Euro. Nach Einschätzung des

Hausfeld-Anwalts würde es Volkswagen selbst dann nur etwa 500

Millionen Euro kosten, wenn es in allen Fällen in Deutschland zu

einem Vergleich gekommen wäre.

Eigentlich ist die Gesamtzahl der Verfahren relativ gering. Weltweit

geht es in dem im September 2015 in den USA aufgeflogenen

Diesel-Abgasskandal um rund 11 Millionen Autos, in Deutschland sind

es über 2,2 Millionen Wagen. Allein hierzulande sind über 97 Prozent

der betroffenen Fahrzeuge bereits per Software-Update umgerüstet –

europaweit sind es knapp 78 Prozent oder 6,3 Millionen Autos.

Rother erklärt, über die Internet-Plattform «myright.de» hätten sich

ungefähr 50 000 geschädigte VW-Kunden registriert. Diese Fälle seien

in wenigen Verfahren gebündelt. Die meisten davon dürften aus seiner

Sicht Rechtsschutz-Versicherungsfälle sein – andere potenzielle

Kläger würden abgeschreckt, ihre Ansprüche geltend zu machen, weil

sie die Gerichtskosten vorstrecken müssten. Auch deshalb vergleiche

sich VW erst in der Berufungsinstanz.

Volkswagen stehe mit einem solchen Vorgehen indes nicht allein da.

Auch andere Unternehmen und sogar der Staat verhindern befürchtete

Präzedenz-Urteile zu ihren Ungunsten hier und da, indem sie im

Einzelfall nachgeben. Diese Erfahrung haben beispielsweise Bank- und

Versicherungskunden in Verfahren beim Bundesgerichtshof (BGH)

gemacht. Und der Fiskus gibt gelegentlich Steuerzahlern im Einzelfall

Recht, damit der Bundesfinanzhof (BFH) kein grundsätzliches Urteil

fällt, das viele Steuerzahler besserstellen könnte.

Wie das funktioniert, erklärt Bundesrichter und

Bundesfinanzhof-Sprecher Christoph Wäger. Oft geben die Richter in

einem Verfahren den Parteien einen Gerichtsbescheid, der zeigt, wie

der Senat die Sache sieht. Bestehen die Parteien nicht auf einer

mündlichen Verhandlung, gilt dieser Bescheid schon als Urteil. «Es

kommt bisweilen vor, dass die Finanzverwaltung die Hände über dem

Kopf zusammenschlägt und sagt: «Aussichtslos, den Senat noch

überzeugen zu können.»»

Dann beantragt das Finanzamt eine mündliche Verhandlung, erfüllt

jedoch gleichzeitig die Forderung des klagenden Steuerzahlers. Der

Fall ist erledigt, die mündliche Verhandlung wird abgesagt, es gibt

kein Urteil. «Das kommt aber nicht am laufenden Meter vor, das ist

sehr selten», erklärt Wäger.

Das OLG Oldenburg hatte tatsächlich unlängst per Hinweisbeschluss

angedeutet, dass VW die vom Abgas-Skandal Betroffenen vorsätzlich

geschädigt habe. Daraufhin nahm der Kläger seine Klage zurück. Das

legt zumindest nahe, dass es auch hier einen außergerichtlichen Deal

gegeben haben könnte.

Fotocredits: Hauke-Christian Dittrich
(dpa)

(dpa)
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