Eine Typologie der Radfahrer

München – Spätestens seit das Thermometer morgens früh wieder mehr als fünf Grad plus anzeigt, steigen Tausende Pendler aufs Rad.

«Von 38 Millionen täglichen Wegen zur Arbeit werden etwa 10 Prozent mit dem Rad zurückgelegt», erklärt eine Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) unter Berufung auf die Studie
«Mobilität in Deutschland».

In den Niederlanden seien es 25 Prozent. Der Nachbar verfüge landesweit über «hochqualitative», meist vom Autoverkehr getrennte Radwegenetze sowie Radschnellwege. «Hier hat Deutschland noch eine Menge aufzuholen», so die Sprecherin.

In vielen Städten sind die Radwege stark ausgelastet. Und zum Ärger über wild geparkte Autos, Baustellen sowie Fußgänger, die mit Blick aufs Smartphone und/oder Kopfhörer die Route queren, kommt noch ein Störfaktor hinzu: andere Radler. Viele scheinen dabei eine der goldenen Regeln des ADFC nicht zu berücksichtigen: «Rücksicht nehmen». Eine Typologie der radelnden Nervensägen im Berufsverkehr:

DER KORREKTE: Er zeigt schon drei Seitenstraßen vorher das Abbiegen an. Klingelt vor Überholmanövern meilenweit im Voraus. Und ermahnt an der Ampel nachfolgende Radler, die kurz zuvor einen Fehler gemacht, ein defektes Rücklicht und eine quietschende Kette haben. Dieser Typ trägt oft Helm und bei schlechtem Wetter neonfarbige Regenkleidung. Sein Gepäck ist sicher in Multifunktionstaschen verstaut. Er mag manchmal wie ein Streber wirken, der frisch den Fahrradführerschein gemacht hat. Aber er beherzigt die
ADFC-Regeln zur Verkehrssicherheit und schaut sich zum Beispiel auch um, bevor er die Spur wechselt.

DER KINDERKONVOI: Bislang sind wohl die wenigsten Fahrradwege mehrspurig. Als denkbar unpraktisch für alle anderen Radfahrer erweisen sich da die fahrradwegbreiten
Anhänger, mit denen manche Eltern ihre Kinder transportieren. Wegen des Gewichts ist das Tempo des Gespanns meist nicht das höchste, Überholen ist aber auf den vielerorts sowieso schon engen Radwegen kaum möglich. Faustformel des ADFC: «In der Regel passt auch ein Anhänger durch eine Engstelle, wenn Sie mit breit ausgefahrenen Ellenbogen nicht anecken.»

DER KAMIKAZE-RADLER: Rote Ampeln, Fußgängerüberwege, Schilder – und auch andere Verkehrsteilnehmer – sind für den Rad-Rowdy eher Herausforderung als Hindernis. Scharfes Einscheren vor enger werdenden Radwegen, Überholen in dritter, vierter Reihe und abruptes Bremsen gehören zum Standardrepertoire. Als Geisterfahrer ist er ebenfalls gern mal auf der falschen Straßenseite anzutreffen. Er hat vielleicht auch die goldenen Regeln des ADFC zur Verkehrssicherheit gelesen, beim Punkt «Nach außen selbstbewusst (fahren)» jedoch offensichtlich den zweiten Teil «innerlich aber defensiv» übersehen.

DER KONTROLLIERTE KAMIKAZE-RADLER: Er hält sich für die zivilisierte Form des Kamikaze-Radlers – gemeinhin als Rennradfahrer bekannt -, trägt Helm und fährt auf der richtigen Seite. Da er wegen seines hohen Tempos bevorzugt die Straße nutzt, kommt er anderen Fahrradfahrern im Berufsverkehr eher selten in die Quere. Mit gepolsterter Radhose und hauteng sitzendem Trikot wirkt er wie ein Profi bei der Tour de France – optisch nicht immer ein Hingucker.

DER KURZZEITIGE: Hier fehlt die Routine, zumindest sieht es so aus. Er wankt und wackelt auf seinem Rad. Nur die Uhrzeit und das Businessdress lassen darauf schließen, dass die Schlangenlinien eher nichts mit dem Bier von gestern zu tun haben. Überholen ist riskant. Der Drahtesel-Dilettant radelt in der Regel nur bei schönem Wetter zur Arbeit, vor allem im Frühjahr und im Sommer anzutreffen.

DER KURZATMIGE: Mit Mountainbike unterwegs wirkt er sportlich motiviert und bestens präpariert für einen schnellen Spurt ins Büro – doch der Eindruck täuscht. Bei der ersten Abfahrt werden die nachfolgenden Radler ausgebremst. Am kleinsten Anstieg schon geht der schnaufend Strampelnde aus dem Sattel. Oft sind die Bikes nicht voll verkehrssicher ausgestattet – ein klarer Fall für den Korrekten.

Die ADFC-Sprecherin empfiehlt für Sicherheit und ein gutes Klima auf den Straßen Rücksicht und regelkonformes, vorhersehbares Verhalten – also vor allem: nicht gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung oder auf dem Gehweg fahren. «Und ein Lächeln auf den Lippen hilft immer!»

Fotocredits: Lino Mirgeler
(dpa)

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