Entzauberte Bayern lecken Wunden

München – Beim schwerfälligen Gang von Uli Hoeneß zur Bayern-Kabine hätte jeder angesichts der zusammengepressten Lippen des Präsidenten nur zu gerne Gedanken lesen können.

«Er ist nicht verärgert, wir sind alle enttäuscht, das ist doch klar», sagte Karl-Heinz Rummenigge später. Der beherrschte Vorstandsboss schwieg im Gegensatz zum emotionalen Bauchmenschen Hoeneß nach dem nächsten schweren Wirkungstreffer für den entzauberten Trophäensammler FC Bayern nicht. Aber auch Rummenigge hütete sich nach dem aufwühlenden 2:3 im großen Pokalkampf gegen Borussia Dortmund davor, im akuten Stimmungstief ein umfassendes Handlungspaket anzukündigen.

«Es ist jetzt kein guter Abend, um über die Zukunft nachzudenken. Jetzt muss man erstmal in Ruhe die Wunden lecken», sagte Rummenigge. Die Mia-san-mia-Bayern stehen plötzlich arg zerbeult da. Seit dem letzten Sieg, dem 4:1 um Liga-Punkte gegen den BVB, sind in nur 18 Tagen die schönen Saisonträume zerplatzt. Triple weg, Double futsch – es bleibt wohl allein der fünfte Meistertitel am Stück übrig.

«Es ist nie eine schlechte Saison, wenn man Titel gewinnt. Und es ist auch keine Selbstverständlichkeit, dass man jedes Jahr Meister wird», sagte Kapitän Philipp Lahm mehr trotzig als überzeugend. «Wir müssen jetzt für die Meisterschaft gehen, es bleibt nichts anderes übrig. Man kann noch so traurig sein», verkündete Arjen Robben.

«Wir können den Bayern diese Saison ein Stück weit vermiesen», hatte BVB-Coach Thomas Tuchel vor dem Halbfinale gesagt. So kam es. Das verpasste Pokalendspiel gegen Eintracht Frankfurt ist für die Bayern so schwer zu ertragen wie der bittere Champions-League-K.o. gegen Real Madrid im Viertelfinale. «Das ist eine Niederlage, die tut weh», gestand Rummenigge. «Innerhalb von einer Woche Madrid und das heute zu verkraften, ist nicht so einfach für die Mannschaft», sagte der Boss. «Zwei Niederlagen, zweimal ausgeschieden und zweimal unnötig», fasste Robben die Bayern-untypische Alptraumwoche zusammen.

Von Fahrlässigkeit sprach Mats Hummels, neben Abwehrkollege Javi Martínez Torschütze, angesichts des Spielverlaufs. Mehrfach hatten die Bayern das 3:1 auf dem Fuß. Den Chancenwucher bestraften forsche Dortmunder mit einem tollen Comeback und dem Fünf-Minuten-Doppelpack von Pierre-Emerick Aubameyang und Matchwinner Ousmane Dembélé.

«Wir hatten das Gefühl, dass die Bayern ab der 65. Minute keine Körner mehr hatten», sagte Marco Reus, Borussias dritter Torschütze. Robbens vergebene Großchance in der 63. Minute war die «Schlüsselszene» (Rummenigge), dazu kam die erzwungene Auswechslung des ausgelaugten Hummels (62.). Ohne den bärenstarken Weltmeister fiel Bayerns Abwehr auseinander. «Wenn es 3:1 steht, weiß ich nicht, ob Dortmund noch mal zurückgekehrt wäre», spekulierte Rummenigge.

«Hätte, könnte, würde bringt dich im Fußball nicht weiter», stellte der Bayern-Chef aber auch fest. Er wird mit Hoeneß und auch Trainer Carlo Ancelotti nach dem nun frühzeitigen Saisonende am 20. Mai «die Dinge in Ruhe bewerten». Es könnte eine Analyse sein, die mal wieder in kostspielige Maßnahmen auf dem Transfermarkt münden könnte.

Die Führungskräfte Lahm und Xabi Alonso hören auf. Der im Gegensatz zum BVB überalterte Kader weist Problemzonen auf. Mit seiner verletzten Schulter funktionierte Robert Lewandowski nicht mehr als Tormaschine. Einen Ersatz für den Polen gibt es nicht. Zu viele Blessuren bei weiteren Leistungsträgern wie Neuer, Boateng oder Hummels in der wichtigsten Saisonphase wirkten sich fatal aus.

Und Ancelotti ist nun mal ein Trainer, der auf Namen und Erfahrung setzt. Jungen Kräften wie Joshua Kimmich (22), Kingsley Coman (20) oder Renato Sanches (19) traut der Italiener nicht genug zu. Beim BVB war es dagegen das ebenfalls noch unfertige Ausnahmetalent Dembelé (19), das die packende Partie entschied. «Es ist noch zu früh, um über die gesamte Saison zu sprechen», wiegelte Ancelotti ab.

Es sei «kein einfacher Moment», gestand der Italiener immerhin. Er wird auch keinen entspannten Sommer erleben. Hoeneß und Rummenigge haben Tiefschläge nie untätig hingenommen. Nach dem Null-Titel-Jahr mit Jupp Heynckes 2012 holten sie Matthias Sammer als Sportvorstand und investierten unter anderem die Rekordsumme von 40 Millionen Euro in Martínez. 2013 folgte das historische Triple – mit Heynckes.

Fotocredits: Andreas Gebert
(dpa)

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