Ester kann das: Snowboard-Weltmeisterin holt Gold auf Ski

Pyeongchang – Ester Ledecka kann die Grenzen von Sportarten überwinden. Aber selbst für die faszinierende Snowboard-Weltmeisterin waren der historische Olympiasieg auf Ski und die größte Sensation der Winterspiele in Pyeongchang zu viel.

Die 22 Jahre alte Tschechin brauchte eine Pause. Kein Training. Pressekonferenz, TV-Interviews, Medaillenzeremonie: All das kostet Kraft und war erst für kommenden Samstag eingeplant, nach dem Parallel-Riesenslalom auf dem Snowboard. Da ist Ledecka Gold-Favoritin. Im Super-G war sie fast ein No-Name – und düpierte die komplette alpine Weltelite. «Was passiert hier nur?», stammelte sie nach einem Rennen für die Geschichtsbücher.

Viktoria Rebensburg: Zehnte. Lindsey Vonn: Sechste. Lara Gut: Vierte. Tina Weirather als Dritte und Anna Veith auf Platz zwei bekamen immerhin Medaillen. Gold aber holte sich mit 0,01 Sekunden Vorsprung Ledecka – und stand nach der Wunder-Fahrt stocksteif und fassungslos da, als Trainer, Betreuer, Fans und Reporter ausrasteten. «Du bist die Gewinnerin», sagte schließlich der Kameramann im Ziel. «Nein», antwortete Ledecka. Dann lächelte sie verlegen. «Ich habe gedacht, das ist ein Fehler mit der Zeitmessung», erklärte sie später. Aber nichts war falsch, sie hatte gewonnen – gegen alle Erwartungen.

«Das ist eine große Befriedigung für uns. Wir waren immer die Einzelgänger, wir waren nie Teil eines Teams, haben es gegen den Rest der Sportwelt durchgezogen, die daran geglaubt haben, dass so etwas möglich ist», sagte ihr Vater Jan Ledecky der Deutschen Presse-Agentur. Er berichtete von all den Widerständen, die Ledecka schon als Teenager überwinden musste mit ihrem Plan, sowohl auf dem Snowboard als auch auf Ski in die Weltspitze zu kommen.

Als Jannek Ledecky ist er in Tschechien ein bekannter Popstar, vor allem durch seine Lieder für die Weihnachtszeit. Der Erfolg ermöglichte es ihm, seiner Tochter die Winter im Juniorenbereich zu finanzieren – zuletzt mit 120 000 Euro pro Saison. «Mit 18 hat sie mich gefragt: Wie teuer war die letzte Saison? Meine Antwort: Mach dir keine Sorgen. Unser Kühlschrank ist voll, wir haben genug Sprit im Tank.» Doch Ledecka entschied, dass sie ihren Sport binnen eines Jahres selbst finanzieren wollte – oder damit aufhören. Das gelang. «Seit vier Jahren ist sie komplett unabhängig», sagte Ledecky.

Von einem Coup wie am Samstag redete aber noch niemand. Erst vor zwei Jahren bestritt die zweimalige Snowboard-Weltmeisterin ihren ersten Ski-Weltcup. In insgesamt 19 Rennen war ein siebter Platz das beste Ergebnis für die Enkelin des tschechoslowakischen Eishockey-Helden Jan Klapac, der 1964 und 1968 Olympia-Medaillen holte. Im Super-G war sie sogar nie besser als Rang 19. Doch dann überraschte sie sogar sich selbst. Bei der Siegerpressekonferenz setzte sie auf dem Podium ihre Skibrille nicht ab. «Ich war nicht darauf vorbereitet so wie die anderen Mädels. Ich trage kein Makeup», erklärte sie und lachte.

Seit ihrem Debüt-Weltcup in Garmisch-Partenkirchen fährt Ledecka abwechselnd mit Ski und Snowboard gegen die Besten der Welt. «Sie ist unerbittlich bei ihren Projekten. Wenn man ihr eine Aufgabe gibt, lässt sie nicht davon ab, ehe sie diese gemeistert hat», sagte ihr Snowboard-Trainer Justin Reiter. Ski-Coach Tomas Bank meinte: «Sie ist eine unglaubliche Athletin, ein Siegertyp.»

Als Ledecka mehr als eine Stunde nach dem Rennen erstmals Trainer und Betreuer sah, fiel sie ihnen um den Hals, fasste sich mit den Händen an den Kopf und sagte nur: «Das passiert gerade wirklich.»

Noch kein Sportler ist in beiden Disziplinen bei Olympia angetreten, schon dieser Plan war historisch. Die Goldmedaille sorgte in der Szene für einen Mix aus Ungläubigkeit und Begeisterung. «Super geil», sagte Rebensburg. «Solche Sachen sind Olympia. Ich finde es richtig cool für unseren Sport. Sie ist super gefahren, das muss man erst mal runterbringen.» US-Star Vonn meinte: «Es ist ein bisschen enttäuschend für mich, von einer Snowboarderin geschlagen zu werden, aber für sie ist das unglaublich. Wow, was für eine Athletik.»

Niemand hätte mit diesem Coup gerechnet, selbst IOC-Präsident Thomas Bach hatte der vor Glück weinenden Veith in der Box der Führenden schon gratuliert. Die Österreicherin, die unter ihrem Mädchennamen Fenninger schon Gold 2014 in Sotschi geholt hatte und die vergangenen zwei Winter mit den Folgen eines Totalschadens im Knie kämpfte, hätte für das schon dritte Alpin-Gold der Ski-Nation bei diesen Spielen sorgen können. Es wäre bereits eine tolle Geschichte gewesen. Doch dann raste Ledecka ins Ziel – und sorgte für eine noch viel bessere.

Fotocredits: Tobias Hase
(dpa)

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