Liesemers «Lexikon der Phantominseln»

Hamburg – Wer hätte gedacht, dass der amerikanischen Unabhängigkeit ein Irrtum über die Grenze der Vereinigten Staaten zugrunde liegt. Ihr Verlauf, heißt es im Friedensvertrag nach dem Krieg gegen die britischen Kolonialherren, werde «durch den Oberen See nördlich der Inseln Royal & Phélipeaux» markiert.

Doch Phélipeaux existierte damals überhaupt nicht. Genauso wenig wie Pontchartrain, das zugleich dem britischen Kanada zugeschrieben wurde. Denn dieser Insel-Doppelpack war das Überbleibsel eines gewieften Bluffs des französischen Kartographen Jacques-Nicolas Bellin, der für seinen Mäzen Louis II. Phélypeaux de Pontchartrain Mitte des 18. Jahrhunderts kurzerhand neben der tatsächlich existenten Insel Royal die anderen beiden einfach hinzu erfand. Und dessen Karte war Grundlage für die Väter der US-Unabhängigkeit.

Unzählige Anekdoten wie diese versammelt der Journalist Dirk Liesemer in seinem «Lexikon der Phantominseln». Dabei geht es nicht um literarische Gebiete wie Utopia oder die Insel Felsenburg, sondern um 30 tatsächlich einstmals in Karten verzeichnete Eilande. Dabei gäbe es noch einige mehr, hat Liesemer jüngst auf Radio Bremen gesagt.

Über Jahrhunderte waren Seefahrer, Piraten und Kartographen auf der Suche nach entlegenen Gebieten, haben angegeben, dass sie mit ihren Füßen Inseln betraten, deren Existenz sich später als nicht haltbar herausstellen sollte. «Die Kartenmacher standen vor allem in der frühen Neuzeit, als die Entdeckungsfahrten begonnen haben, vor der Aufgabe, sich ein Bild von der Welt zu machen, ohne dass sie dabei hinausreisen», so Liesemer. «Sie saßen in ihren Schreibstuben und mussten Informationen sammeln.»

Logbücher waren dann ihre Quellen, aber auch Berichte von Kapitänen und Matrosen. So wurden aus Abenteuergeschichten oder Fata Morganas unter Umständen schnell harte Fakten auf Globen und Seekarten.

Am bekanntesten ist wohl Atlantis. Den Untergang der Insel beschreibt der griechische Philosoph Platon als Erster Mitte des 4. Jahrhunderts vor Christus. Und obwohl die Geschichte bereits in der Antike zu den fiktiven Mythen zählt, mangelt es später nie an Hypothesen, wo sich Atlantis befunden habe. Oder Thule im Nordatlantik: Der griechische Astronom Pytheas glaubt immerhin, er sei tatsächlich auf der Insel gelandet. Ob er in Wirklichkeit Island oder die norwegische Küste betrat, darüber wird bis heute spekuliert.

Doch Liesemer trägt in seinem fein gearbeiteten Buch (natürlich inklusive Karten) nicht nur Sagen aus der Antike und den Seefahrer-Jahrhunderten zusammen. Auch in der Moderne findet er geografische Ungereimtheiten. Auf Google Earth etwa wird über Jahre Sandy Island rund 1100 Kilometer vor der australischen Küste verzeichnet. Die Insel – angeblich fast doppelt so groß wie Manhattan – wird erst nach der offiziellen «Nicht-Entdeckung» 2012 gelöscht. Und wer weiß, vielleicht findet sich noch heute irgendwo ein falscher Zipfel in dem ein oder anderen Atlas.

Fotocredits: Mare Verlag
(dpa)

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