St. Helena – Napoleon, die Thunfische und der Brexit

St. Helena – St. Helena liegt zwischen Angola und Brasilien im Südatlantik. Seit Oktober 2017 wird die Insel erstmals von Linienflügen angesteuert.

Die Landung auf dem windigen Eiland ist ruppig. St. Helena ist auf den ersten Blick kein besonders wirtlicher Ort. Napoleon wurde 1815 hierher verbannt. Steile Berge, dunkles Vulkangestein, kaum eine Pflanze hält sich hier.

Derek Richards betreibt seit dem vergangenen Jahr mit seiner Frau Linda ein kleines Gästehaus in St. Pauls, zehn Autominuten von der Hauptstadt Jamestown entfernt. Die beiden Zimmer der Herberge sind ans Wohnhaus angebaut. «Ich hatte es schon lange vorher geplant, aber die Leute kamen ja nicht regelmäßig», erklärt der 52-Jährige. Der Flughafen, sagt er, habe die gesamte Dynamik der Insel verändert, auch für die Bewohner der Insel. «Du bist nicht mehr fünf Tage auf einem Boot, wenn du in den Urlaub fahren willst.»

Genau dies war bisher die Realität – und St. Helena daher kein Touristenziel. Das britische Postschiff «RMS St Helena» verband die Insel seit 1990 mit dem Mutterland und vor allem mit dem näher gelegenen Hafen Kapstadt in Südafrika. Die monatliche Ankunft von Fleisch, Gemüse, Medikamenten bestimmte über Jahrzehnte den Puls der Insel. Nun, da die Luftbrücke etabliert ist, hat das altehrwürdige Schiff am 10. Februar 2018 den Dienst quittiert. Ein neues Schiff bringt weiter Waren. Doch der Brexit hat die Preise steigen lassen. Nun hofft man auf der Insel, dass der Tourismus die Wirtschaft ankurbelt und so die Abhängigkeit von der britischen Regierung verringert.

Investiert wurde bereits kräftig, sowohl von Privatleuten wie den Richards als auch seitens der Inselregierung. Letztere hat im Stadtzentrum drei historische Reihenhäuser komplett renovieren lassen, miteinander verbunden und so ein elegantes Hotel aus dem Boden gestampft. Man habe zunächst versucht, private Investoren zu finden, erzählt Gouverneurin Lisa Phillips. «Aber das war schwierig, weil der Flughafen noch nicht eröffnet war.»

Wirklich abgekoppelt von Europa war das gern als «abgelegenster Ort der Welt» beworbene St. Helena schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Den Portugiesen, die sie 1502 entdeckten, diente der unbewohnte Flecken Land zunächst als Versorgungsstation. Sie brachten Nutztiere, pflanzten Obstbäume und füllten ihre Trinkwasservorräte auf. Die strategisch wichtige Lage rief aller ursprünglichen Geheimhaltung zum Trotz jedoch bald auch andere europäische Großmächte auf den Plan. Vor allem Holländer und Engländer balgten sich um das Eiland. 1657 übergab die britische Krone die Rechte zur Verwaltung St. Helenas an die Britische Ostindien-Kompanie. Die Besiedlung begann.

Der britische Einfluss ist bis heute nicht zu übersehen. Bezahlt wird in dem britischen Überseegebiet mit dem Saint-Helena-Pfund. Die Währung ist an das britische Pfund gekoppelt. Auf den engen Straßen gilt Linksverkehr. Und auch die Amtssprache ist Englisch. Selbst wenn die Saints, wie sich die Inselbewohner nennen, das Englisch in einer Mundart interpretieren, die an eine gejodelte Mischung aus schottischem Hochlandkauderwelsch und US-Südstaaten-Slang erinnert.

Die Lebensart weicht deutlich von der Hektik europäischer Metropolen ab. Auf den Straßen grüßt jeder der nur 4500 Einwohner jeden. Vor 200 Jahren aber war es dieses Provinzielle, das den berühmtesten Inselbewohner wider Willen – Napoleon Bonaparte – auf die Palme brachte. Von 1815 bis zu seinem Tod 1821 lebte der französische Militärdiktator auf St. Helena, zwar verbannt und bewacht von den Briten, aber durchaus in gehobenem Stil.

Edle Weine aus Madeira und Kapstadt sowie Schinken aus Spanien seien Napoleon geliefert worden, der auch sein Haus nach Lust und Laune verlassen durfte, berichtet Trevor Magellan. «Er konnte sich frei bewegen, aber wo konnte er schon hin?» Magellan, schon lange Rentner, führt heute zweimal die Woche Touristen durch das Gästehaus, in dem Napoleon die ersten sieben Wochen seines Aufenthalts lebte.

Wer Einsamkeit sucht, muss heute aus Jamestown hinausfahren. Der Ort mit seiner Einkaufsstraße und dem kleinen Hafen ist eine Art Miniaturzentrum der Insel. Von hier legen die Boote ab, die Taucher zu den Riffen bringen, wo sich bunte Doktorfische, Felsenbarsche und Muränen tummeln. Hauptattraktion zwischen November und März sind die gigantischen Walhaie, die schnorchelnde Wegbegleiter tolerieren.

Neben den Touristenbooten legen aber auch die alten Fischerkähne noch immer ab. Peter Benjamin ist einer von nur noch sieben Berufsfischern, die morgens um 4.00 Uhr in See stechen, um zunächst im Schutz der Nacht die scheuen Köderfische und anschließend dicke Gelbflossenthunfische zu fangen. Wann immer es geht, nimmt er dazu auch Gäste mit.

Während seine beiden angelnden Passagiere minutenlang mit einem einzigen Fisch kämpfen, schlägt Benjamin mit einem Bambusstock auf die Wasseroberfläche, um die fünf bis sieben Kilogramm schweren Thunfische einen nach dem anderen aus dem Wasser zu hieven. Chronische Rückenschmerzen? Die merke er erst, wenn er wieder an Land sei, sagt er mit einem Lachen.

Es ist diese Mischung aus Leichtigkeit und Leiden, aus rauer Landschaft und perfekter Ruhe, die St. Helena besonders macht. Daran ändern auch die knapp 80 Flugpassagiere noch nichts, die nun wöchentlich landen. Gästehauseigner Derek Richards hat diese Inselatmosphäre immer wieder zurückgebracht. Zweimal hat er für mehrere Monate in England gearbeitet, sich dort zum Feuerwehrmann ausbilden lassen. Doch dort zu bleiben, kam für ihn nicht in Frage.

Mit einem Glas Weißwein in der Hand steht Richards vor dem Steilhang am South West Point, dort wo das ruhigere Wasser der Nordküste auf rauen Wellen trifft. Irgendwo Richtung Brasilien geht über dem endlosen Meer die Sonne unter. «Ich liebe diesen Ort», sagt er. «Wo könnte ich so etwas in Großbritannien jemals haben?»

St. Helena

Reisezeit: Jahreszeiten gibt es auf der Insel nicht wirklich, die Tagestemperaturen bewegen sich zwischen 20 und 24 Grad. Die wärmeren Monate sind Januar bis März, kühler ist es von Juni bis September.

Anreise: Als einzige Fluggesellschaft fliegt South African Airlink einmal wöchentlich (am Samstag) von Johannesburg nach St. Helena. Johannesburg selbst fliegen verschiedene Airlines an.

Geld: Überall akzeptiert werden britische und Saint-Helena-Pfund, in manchen Geschäften auch Euro und Dollar. Da es auf der Insel keine Geldautomaten und nur wenige Möglichkeiten zur Kreditkartenzahlung gibt, empfiehlt es sich, vorab Geld zu tauschen.

Informationen: www.sthelenatourism.com

Fotocredits: Christian Selz,Edward Thorpe,Christian Selz,Environmental Mngt. Division,Martin Wright,Environmental Mngt. Division,Simon Benjamin,Christian Selz,Helena Bennett,Christian Selz,Helena Bennett,Christian Selz,Christian Selz,Christian Selz,Martin Wright,dpa-infografik,SHG Access Office
(dpa/tmn)

(dpa)
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