Tabu-Thema Schmerzmittel – Sörgel warnt vor Risiken

Frankfurt/Main – Für Pharmakologe Fritz Sörgel ist das Schlucken von Schmerzmitteln im Fußball kein Doping. «In diese Ecke will ich es nicht rücken. Das ist Arzneimittelmissbrauch», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Und noch gesundheitsgefährdender als bisher angenommen.

Eintracht Frankfurts Trainer Niko Kovac («Im Fußball geht es ohne Schmerzenmittel nicht») hatte das Tabu-Thema jüngst offen angesprochen. Damit löste er erneut eine Debatte über Risiken und Verbreitung der Einnahme von Aspirin, Paracetamol, Ibuprofen oder Voltaren im Profifußball aus.

Angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über Nebenwirkungen von Schmerzmitteln und einer wohl gesteigerten Einnahmementalität hält Sörgel eine Aufklärung dringender denn je für notwendig. «Das Bewusstsein für die Nebenwirkungen ist einfach nicht da», sagte der Experte. Bekannt sind, dass hohe Dosen an Schmerzmitteln zu Leber- und Nierenschäden oder Magen- und Darm-Blutungen führen können.

Alarmierend ist eine im Februar veröffentlichte Studie aus Taiwan bei 10 000 Patienten. Sie zeigt, dass bei Patienten, die mit einem Infarkt in die Klinik kamen, öfter ein Gebrauch – nicht unbedingt Missbrauch – von Schmerzmitteln und eine gleichzeitige Infektion der Atemwege vorlag. «Die Studie ist ein Hinweis, dass die Einnahme von Schmerzmitteln wie Voltaren und Ibuprofen bei Erkältungskrankheiten keine so gute Idee ist», erklärte Sörgel.

Diese Studie offenbare ein weiteres Risiko für Athleten: «Da Sportler oft Infektionskrankheiten haben, aber auch Schmerzmittel nehmen, bevor sie die Infektion bekommen, kann diese Konstellation zu Problemen führen.»

Ob diese neu erkannte Gefahr Profifußballer und Spitzenathleten davon abhalten wird, noch mehr in hohen Dosen einzuwerfen? Wohl kaum. «Wenn man so einen körperlich harten Job hat wie ein Fußballprofi, dann hat man eben auch mal ein bisschen Aua», meinte Darmstadt-98-Trainer Torsten Frings. Dies könne durch «kleine, leichte Mittel» überbrückt werden.

Eine Studie des Weltverbandes FIFA bei der WM 2010 ermittelte, 60 Prozent der Spieler greifen regelmäßig zur Tablette. «Auf jeden Fall ist das noch aktuell. Denn die Verletzungshäufigkeit im Fußball hat seitdem wohl eher zugenommen», betonte Sörgel. «Ich kann den Spieler sogar verstehen, dass er Schmerzmittel nimmt, um spielen zu können. Bei dem Leistungs- und dem Termindruck geht es kaum noch anders.»

Zweifel hat der Nürnberger Wissenschaftler, ob Verbote gegen den Schmerzmittelmissbrauch Sinn machen. «Man kann es einem Fußballer nicht wirklich verbieten», meinte Sörgel. «Vielmehr sind Trainer und die Ärzte gefordert.» Der Trainer beobachte den Spieler ständig, ob er sich richtig bewegt, und sei erster Ansprechpartner, wenn er Schmerzen habe. «Einen Spieler aus dem Spielbetrieb zu nehmen, ist ihm aber auch nicht immer recht», sagte Sörgel. Ebenso sei es eine schwierige Aufgabe für Vereinsärzte, auch mal Nein zu sagen.

Zumal es mit der Verschreibungspflicht mancher Präparate so eine Sache sei. Zum Beispiel müsse das entzündungshemmende Voltaren noch immer ab einer Dosis von 50 Milligramm (mg) vom Arzt verordnet werden. Vor 15 Jahren wurden laut Sörgel aber Tabletten mit 12,5 mg auf den Markt gebracht. «Die Sportler können rechnen. Dann nehmen sie halt vier Tabletten», erklärte er. «Da kann man sehen, wie groß der Druck geworden ist, solche Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Pharmaindustrie würde es nicht tun, wenn damit kein Umsatz zu erzielen wäre. Das finde ich nicht in Ordnung.»

Auch wenn Sörgel ein Verbot von Schmerzmitteln im Spitzensport für nicht machbar ansieht, hält er ein Totschweigen für falsch. «Zur aufgeklärten Gesellschaft gehört, dass man weiß, was passiert, wenn man so etwas einnimmt.»

Eintracht-Coach Kovac ist nicht der erste, der darüber gesprochen hat. Schon Toni Schumacher enthüllte in seinem Buch «Anpfiff» vor 30 Jahren, wie exzessiv im Fußball geschluckt wurde. «Tabletten wurden regelmäßig genommen. Soviel, dass ich heute den Eindruck habe, manche nicht mehr zu vertragen oder dass die nicht mehr wirken», sagte er Jahre später.

Fotocredits: Daniel Karmann
(dpa)

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