Neuer HSV in neuem Umfeld: Jung, bescheiden, hungrig

Hamburg – Abstieg war gestern, heute herrscht Vorfreude. Beim Hamburger SV hat sich die Tristesse nach dem bitteren ersten Absturz in die 2. Fußball-Bundesliga in Wohlgefallen aufgelöst.

Die Fans haben sich mit der Zweitklassigkeit angefreundet und verfallen geradezu in Euphorie, die Spieler sind heiß auf das neue, für sie völlig unbekannte Terrain. «Ich habe richtig Bock auf die 2. Liga», sagt Mittelfeldspieler Lewis Holtby vor dem Saisonauftakt am Freitag (20.30 Uhr) gegen den Nachbarn Holstein Kiel. Trainer Christian Titz registriert mit Genugtuung: «Die Stimmung im Umfeld ist enorm positiv.» Keine fünf Monate ist es her, da hatte er bei seinem Amtsantritt Untergangsstimmung ausgemacht.

Seit Wochen ist das 57.000 Zuschauer fassende Volksparkstadion für das Nordderby gegen Kiel ausverkauft. 24.500 Saisontickets sind dem Verein aus den Händen gerissen worden, rund 7000 neue Mitglieder haben nach dem Abstieg einen Aufnahmeantrag gestellt. Selbst wenn der HSV in der Vorsaison einen Champions-League-Startplatz ergattert hätte, könnte die Begeisterung rund um den Verein nicht größer sein.

Die Fans des Europapokal-Siegers von 1983 gieren nach Erfolgen, denn Siegesfeiern waren in der Vergangenheit so rar wie Regen in diesem Sommer. Jetzt will der einstige Erstliga-Dino möglichst vom Start weg gemeinsam mit Mitabsteiger 1. FC Köln die Marschrichtung im Unterhaus vorgeben.

Dabei wollen sich die Kicker um Neu-Kapitän Aaron Hunt partout nicht Überheblichkeit vorwerfen lassen. Auch das ist neu am HSV: Man ist bescheiden. «Wenn wir denken, der HSV ist zu groß für die 2. Liga, machen wir schon den ersten großen Fehler», sagte der von Holstein Kiel zum HSV gewechselte Sportchef Ralf Becker vor wenigen Tagen dem «Kicker». «Wenn wir mit Arroganz und dem Glauben darangehen, wir kommen ohne harte Arbeit und allein mit individueller Qualität durch, werden wir in der Liga unser blaues Wunder erleben.»

Damit trifft Becker Einstellung und Selbstverständnis von Trainer Titz haargenau. Denn der hatte seinen Profis schon vor Wochen die Annahme ausgetrieben, «es wäre eine einfache Liga, nur weil man aus der 1. Liga runter ist – ganz im Gegenteil». Bei aller Euphorie weiß auch Titz: Die Fallhöhe ist gewaltig. Läuft es am Anfang nicht, könnte die positive Stimmung im Umfeld schnell umschlagen.

Der ruhig und kompetent auftretende Titz ist der Frontmann des neuen HSV. Der 47 Jahre alte Kurpfälzer weiß, was er tut. Er setzt auf Talente, treibt die Erneuerung und Verjüngung des Teams voran, lehrt seine Kicker verschiedene Spielsysteme. Mit einem Durchschnittsalter von 22,9 Jahren ist der Kader der jüngste aller 36 Profi-Clubs.

Von den Routiniers, die die Jungen in den Abstieg führten, sind Hunt, Holtby und Gotoku Sakai als Taktgeber geblieben, teils mit deutlichen Einkommenseinbußen. Bobby Wood, Walace, André Hahn, Nicolai Müller, Mergim Mavraj, Luca Waldschmidt sind schon weg. Albin Ekdal und Filip Kostic sollen folgen. Das Grüppchen der Neuen ist überschaubar: Jairo Samperio (Las Palmas), Khaled Narey (Fürth), David Bates (Glasgow Rangers) und Manuel Wintzheimer (Bayern München). Dazu kommen jede Menge Youngsters aus dem eigenen Nachwuchs. Nach Verletzungen fehlt zwar noch ein Innenverteidiger, doch Titz ist überzeugt: «Wir haben eine sehr gute Mannschaft.» Und er will die Fans nicht enttäuschen: «Die Leute sehen die Chance, dass wir jetzt öfter gewinnen.»

Fotocredits: Axel Heimken
(dpa)

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