Der Heißläufer: Doll in Hannover schon unter Druck

Hannover – Eines ist schon jetzt klar: Die Rettungsmission von Thomas Doll bei Hannover 96 wird vielen nachhaltig in Erinnerung bleiben – ob sie am Ende Erfolg hat oder nicht.

«Fünf Minuten sabbelst du uns voll», hat schon länger kein Bundesliga-Trainer mehr vor laufenden Kameras über einen Schiedsrichter gesagt. Und auch der «eisige Nordwind», den Doll seinen Spielern nach einer der vielen Niederlagen androhte, fegt nur in Hannover über den Trainingsplatz.

An diesem Sonntag (15.30 Uhr/Sky) spielt der Tabellenvorletzte gegen den FC Schalke 04, und die Situation ist momentan die: Seit seiner Rückkehr in die Fußball-Bundesliga hat Doll mit seinem Team sechs von sieben Spielen verloren. Nach einem Bericht der «Bild»-Zeitung droht ihm schon in der nächsten Woche wieder das Aus, falls gegen Schalke die siebte Niederlage folgen sollte. Trotzdem nimmt die Öffentlichkeit den früheren Nationalspieler weniger wegen dieser Negativserie oder dem scheinbar aussichtslosen Kampf gegen den Abstieg wahr, sondern vielmehr wegen seiner eruptiven Auftritte.

Den einen gefällt Dolls Offenheit («Mir geht die Situation total auf den Sack»). Andere glauben, dass er nur an sich und seine Karriere denkt («Das hatte ich mir anders vorgestellt mit meiner Rückkehr in die Bundesliga»). Wiederum andere fragen sich, was es in einer ohnehin schon demoralisierten Mannschaft auslöst, wenn ihr Trainer sie ständig öffentlich rundmacht («Wir sind aufgetreten wie Samariter»). So oder so ist der 52-Jährige zu einem kleinen Social-Media-Ereignis geworden, dessen Aussagen Woche für Woche in Videos zusammengeschnitten, diskutiert und kommentiert werden.

Doll kann das nicht so wirklich verstehen. «Es ist wichtig, dass man als Trainer offen und ehrlich mit Situationen umgeht», sagte er am Donnerstag. Er sei ein Trainer, der mit «Leidenschaft und Emotion» arbeite und mit seinen Aussagen auch immer eines bewirken wolle: Eine ziemlich leblose Mannschaft «wachzurütteln».

Tatsächlich wird es dem früheren Coach des Hamburger SV nicht gerecht, ihn bloß auf seine Tiraden zu reduzieren. Denn zuallererst unterscheidet sich Doll von vielen anderen Bundesliga-Trainern durch die Eigenschaft, sich in keiner Situation zu verstellen. Doll ist frustriert, wenn seine Mannschaft verliert. Er ist fassungslos, wenn sie dabei noch schlechter spielt, als er das für möglich gehalten hätte. Er ist manchmal euphorisiert, wenn sie gut trainiert. Und er stützt auch Spieler wie den Brasilianer Jonathas gegen jede Kritik, wenn sie ihm umgekehrt das Gefühl geben, voll bei der Sache zu sein.

Das alles gibt es von Doll immer unverstellt und unverblümt. «Alle reden davon: Wir brauchen Typen, die ihre Meinung sagen. Aber wenn einer etwas sagt, wird er durch’s Dorf gejagt», sagte sein Trainerkollege Bruno Labbadia vom VfL Wolfsburg zuletzt.

Eine gewisse Tragik besteht bei Doll darin, dass er eigentlich wegen genau der Eigenschaften nach Hannover geholt wurde, die ihn nun zumindest öffentlich schlecht aussehen lassen. Er sollte mitreißen und aufrütteln – nur hat das bislang überhaupt nicht geklappt.

«Ich persönlich habe gefühlt den Eindruck, dass weder André Breitenreiter noch jetzt Thomas Doll das Leistungspotenzial der Mannschaft ausschöpfen konnten», sagte Geschäftsführer Martin Kind der «Bild»-Zeitung. Und auch der Führungsspieler Michael Esser sagte in einem «Sportbuzzer»-Interview über Doll: «Er hat eine klare Ansprache und kann motivieren. Bei dem einen oder anderen Fehler, den wir gemacht haben, hätte was-weiß-ich-wer Trainer sein können, der hätte auch nicht viel mehr machen können.»

Das bisherige Fazit seiner Bundesliga-Rückkehr ist deshalb wohl: Doll ist in Hannover für kein einziges Problem verantwortlich: weder für die schlechte Zusammenstellung des Kaders noch für das Verletzungspech noch für die große Unruhe rund um diesen Verein. Er hat in Hannover aber auch noch kein einziges Problem gelöst.

Fotocredits: Swen Pförtner
(dpa)

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