Bruna und Rios Müllgeier

Rio de Janeiro (dpa) – Gramacho ist ein seltsamer Ort. Gefährlich, eine ökologische Katastrophe und Stromerzeuger. Es ist die Seite, die Touristen und Olympioniken nicht zu sehen bekommen.

Hier wird ein Großteil des in Rio de Janeiro produzierten Mülls abgeladen. Legal und illegal. Nirgendwo in Rio dürfte die Geier-Dichte so hoch sein. Es lässt sich ein elementares Problem der Olympiastadt besichtigen. Fehlende staatliche Kontrolle führt zur illegalen, gefährlichen Entsorgung von Müll und Giftstoffen – in der Konsequenz ist das verantwortlich für Umweltsünden und Verschmutzung der Gewässer.

Ein paar Kilometer hinter dem internationalen Flughafen geht es von der dreispurigen Avenida ab, zunächst sieht alles noch ganz normal aus. Ein kleines Städtchen, asphaltierte Straßen. Aber es gibt auch eine Favela mit rund 40 000 Bewohnern, die überwiegend vom Geschäft mit dem Müll leben. Nach rund einem Kilometer geht es von der Straße nach links ab. Abfahrt in eine andere, kriminelle, illegale Welt.

Staubige Lehmpisten, links und rechts alte Autowracks, vergammelte Kühlschränke. Und jämmerliche Baracken. Geier sitzen in den Bäumen. Das Gebiet wird von Rios Müllmafia kontrolliert, es ist riesig. Hier kommen gerade nachts die Lastwagen mit Müll unbekannten Inhalts an, rund die Hälfte der legalen Entsorgung wird wohl hier abgekippt.

So sind für eine Lastwagenladung teilweise nur 12 Euro zu zahlen. Es geht zu Fuß durch notdürftig verbrannten Müll, es qualmt, auch hier sitzt ein Geier in den Müllresten. Vom «Patrón» eingesetzte Arbeiter, meist Anwohner, schauen, ob sie etwas brauchbares finden können, was sich zu Geld machen lässt. Alles ist unter Kontrolle der Herrscher über das Gebiet, Fotos dürfen nur nach Erlaubnis gemacht werden.

Hier wohnt Bruna, ihren Nachnamen will sie nicht sagen, auf dem Arm die zwei Jahre alte Jasmin, die Baracke hat eine Küche und ein Zimmer, hier schlafen Bruna, ihr Mann und die 7 Kinder. «Meine Eltern kamen hierher, da war ich 14. Auch sie waren schon Müllsucher.»

Bruna arbeitet für den «Patrón», der die Einfahrt der Lastwagen kontrolliert, 200 Reais bekommt sie für das Trennen des Mülls pro Woche, 55 Euro. Wenn sie Lebensmittel im Müll findet, darf sie die behalten. Bruna hat 5 Brüder und 7 Schwestern, auch sie leben an den Halden in armseligen Behausungen. Der Spielplatz der Kinder ist der Müll. Keiner weiß wie giftig er ist – auch viel Elektroschrott wird hier abgekippt. Kontrolle, Schutz der Menschen? Fehlanzeige.

Einige Kilometer entfernt ist eine der größten Müllhalden Südamerikas – 40 Meter tief, 70 Meter hoch, ein riesiges Areal. Sie ist seit 2012 geschlossen, ein Sinnbild der Umweltsünden in Rio. Jahrzehntelang sind vergärte Müllreste runtergelaufen in die Guanabara-Bucht, die man von weitem sieht – dort wird bei Olympia gesegelt. Wer Gramacho sieht, versteht, warum diese Bucht so verseucht ist mit Superviren und Bakterien. Der Petrobras-Konzern betreibt hier eine Gasanlage: Gas wird nun aus der Müllkippe gezogen, um daraus Energie zu gewinnen.

Der Franziskaner Frei Paulo besucht mit Helfern des Krankenhauses São Francisco de Assis regelmäßig die Menschen in Gramacho, mit einem Behandlungsbus will er den Menschen hier zumindest eine medizinische Grundversorgung ermöglichen. Das Bischöfliche Hilfswerk Adveniat unterstützt hier Projekte, darunter eine Kooperative, bei der frühere Müllsucher nun im «legalen Entsorgungsbereich» tätig sind und Abfälle trennen. Sie bekommen für ein Kilo Plastik einen Real, rund 30 Cent, ein gutes Geschäft ist auch die Verarbeitung von Bauschutt. Im Monat verdienen sie bis zu dem 2,5-fachen des staatlichen Mindestlohns.

Roberta Alves, alias «Docinho», das «Schätzchen», hat früher auf der Gramacho-Kippe im gesundheitsgefährdenden Müll gewühlt. «Die Politik lässt uns hier im Stich», klagt sie. Viele Bewohner der Favela seien gezwungen, sich für die Müllmafia zu verdingen, also dort, wo illegal Abfälle abgekippt und nach Brauchbarem durchsucht werden. «Die Leute müssen irgendwie überleben.» Alves ist froh, dank der Kooperative diese Zeiten hinter sich gelassen zu haben, im Gegensatz zu Frauen wie Bruna. Das Schlimmste, was sie im Müll hier gefunden hat? «Einen menschlichen Kadaver und Föten. Ich habe sehr viele Föten gesehen.» 

Fotocredits: Georg Ismar

(dpa)
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