Bundesliga-Trend zum flotten Taktik-Wechsel

Frankfurt/Main – Der brasilianische Fußballprofi Roger fand sich kürzlich in der Dreier-Abwehrkette des FC Ingolstadt als zentraler Mann wieder. «Wie Beckenbauer!», scherzte er. Der Libero ist zwar nicht zurück auf Taktiktafeln und Spielfeldern.

Der Trend geht aber zur Dreierdefensive, die bei Gegenangriffen blitzschnell zur Fünferreihe wird. «Auf die Bundesliga bezogen sieht es mittlerweile so aus, dass die Teams sowohl die Dreier- als auch die Viererkette in ihrem Spielsystem-Repertoire verinnerlicht haben. Man wechselt sogar innerhalb des Spieles diese Formationen», sagt Frank Wormuth, Chef-Trainerausbilder beim Deutschen Fußball-Bund (DFB).

Das beste Beispiel dafür lieferten am Samstag der SC Freiburg und 1899 Hoffenheim mit ihren experimentierfreudigen Trainern Christian Streich und Julian Nagelsmann. Einige Clubs halten jedoch an der bewährten Vier-Mann-Abwehr fest – allen voran der FC Bayern München mit seinen Außenverteidigern Philipp Lahm und David Alaba, die an den Linien rauf und runter flitzen. Aus Gewohnheit, so Chefcoach Carlo Ancelotti grinsend, stelle er so auf. «Zur Jahrtausendwende ließ ich bei Juventus Turin auch mal mit drei Mann verteidigen», erklärt der 57-jährige Italiener. Mit einer Viererkette und zwei defensiven Mittelfeldspielern könne er aber hinten den Raum besser besetzen.

Unter anderem setzen Thomas Tuchel – nach einigen Experimenten – bei Borussia Dortmund, Nagelsmann bei 1899 Hoffenheim, Maik Walpurgis in Ingolstadt und Niko Kovac bei Eintracht Frankfurt auf drei Verteidiger auf einer Linie. Eine Formation, die einst Pep Guardiola beim FC Barcelona etabliert hat.

Auch Daniel Memmert, Professor am Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, sieht einen eindeutigen Trend: «Sehr viele Mannschaften haben auf die Dreier- bzw. bei gegnerischem Ballbesitz auf die Fünferkette umgestellt», sagt er. «Die Viererkette war lange die einzig sichtbare Konstante in den Aufstellungen. Da kann man in dieser Saison einen Bruch erkennen.»

Bei Eintracht Frankfurt wechselt Kovac nach eigenen Angaben regelmäßig die Systeme: «Unser Ziel muss es sein, immer zu mixen, um unberechenbar zu sein.» Sein Mittelmann in der Abwehr ist Makoto Hasebe, ein Bundesliga-Routinier und -Stratege mit 33 Jahren, der öfter nach vorne prescht. «Er erinnert mich an den späten Lothar Matthäus, der auch in hohem Alter Libero gespielt hat», sagt Kovac.

Joachim Löw spielt zwar mit der Nationalmannschaft in der Regel weiterhin mit Viererkette. Aber der Bundestrainer hat natürlich auch die Dreierkette als Alternative eingeführt und im Ernstfall eingesetzt – wie beim Viertelfinalerfolg gegen Italien bei der EM 2016. Die Gründe für die Entwicklung hin zur Dreierformation in der Bundesliga erklärt Memmert: «Man will damit die Abstände hinten kleiner machen. Schließlich ist der Pass in die Schnittstellen einer Abwehr der gefährlichste und nach unseren Studien auch der kreativste.» Ein Grund sei auch, dass es in Deutschland nach wie vor nicht so viele herausragende Außenverteidiger gibt – «so umgeht man mit drei Innenverteidigern ein bisschen diese Not».

Während ein Libero wie Franz Beckenbauer einst als freier Mann agierte, ist der zentrale Abwehrspieler heute doch ziemlich gefesselt an seine Position. «Der Libero konnte sich ohne direkten Gegner um die Steilpässe, die hinter der Abwehrkette gespielt wurden, kümmern, indem er sie ablief, wie es so schön im Fußballjargon heißt», sagt DFB-Taktik-Spezialist Wormuth. «Der Libero war doch sehr abgesetzt, da man damals noch nicht so auf Abseits spielte», erklärt der 29-jährige Nagelsmann, der das selbst kaum noch miterlebt hat.

Der Hoffenheimer Chefcoach vergleicht den heutigen Abwehrchef eher mit dem Quarterback im American Football, der seinem Team die nächste Spielidee vermittelt – «mit dem Unterschied, dass der zentrale Mann nicht alleine alle Ideen haben muss». Die moderne Dreierkette stehe zwar auf gleicher Höhe, so Wormuth, habe aber im Grunde drei Liberos: «Immer der, der ohne Gegner ist, sichert den anderen Innenverteidiger ab, ansonsten wird ein 1:1 ohne Absicherung gespielt.»

Der Trend zur Dreierkette beschleunigt eine andere Entwicklung, die längst in Gang gekommen ist – der Keeper kickt mit. «Der Torhüter ist für den Spielaufbau extrem wichtig. Von ihm wird immer mehr Flexibilität verlangt», sagt Memmert. Freiburgs Schlussmann Alexander Schwolow verbuchte beim 1:1 gegen Hoffenheim übrigens 64 Ballkontakte. Nur ein einziger seiner Mitspieler hatte mehr.

Fotocredits: Oliver Berg
(dpa)

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