Keine große Bühne mehr: Jupp Heynckes wird 75

Schwalmtal (dpa) – Als sich der FC Bayern München im vergangenen Jahr von Trainer Niko Kovac trennte, ging kurz Zeit ein Reflex durch die Fußball-Republik: Kommt Jupp Heynckes nicht vielleicht doch noch einmal zurück zu einer fünften Amtszeit als Bayern-Trainer?

So war es eigentlich immer, wenn die Bayern in Not waren. Doch Heynckes hat sich von der großen Bühne verabschiedet, ins ländliche Idyll nach Schwalmtal am Niederrhein – endgültig.

Auch das Interesse an seinem 75. Geburtstag am 9. Mai bedient er nicht mehr in Gänze. Ein, zwei Interviews, mehr nicht. Selbst für Weggefährten ist er nicht immer verfügbar. «Wir haben auch noch hin und wieder Kontakt. Aber er zieht sich lieber ein bisschen zurück und das pflegt er auch», sagte sein früherer Mitspieler und Co-Trainer Horst Köppel der Deutschen Presse-Agentur.

Ehemalige Schützlinge gratulierten Heynckes öffentlich und rühmten dessen menschliche Vorzüge. «Lieber Jupp, ich schätze mich sehr glücklich, dass ich Dich nicht nur als außergewöhnlichen Trainer kennenlernen, sondern auch einen wunderbaren Menschen als Freund gewinnen durfte», schrieb der 35 Jahre alte Bastian Schweinsteiger im Vereinsmagazin des FC Bayern, den Heynckes 2013 noch einmal zum historischen Triple geführt hatte. Auch Weltklasse-Spieler Toni Kroos bedankt sich in einem Beitrag für den «Münchner Merkur» und der «tz» für die Förderung zu Beginn seiner Karriere.

Persönlich gratulieren lässt sich Heynckes am Samstag nicht. Eine Party hätte es auch ohne die Corona-Krise nicht gegeben. «Ich hatte nicht vor, groß zu feiern», sagte Heynckes der «Welt am Sonntag»: «Den 75. werden wir ganz spartanisch daheim verbringen.»

Heynckes meidet angesichts der Pandemie gerade noch mehr als sonst Kontakte, genießt aber die Zeit in seinem Garten und macht sich Gedanken – über den Fußball, die Gesellschaft, die Politik und die Umwelt. «Manchmal habe ich mir sogar gedacht, eigentlich müsste ich bei einer Klimademonstration mitmarschieren. Missstände und Ungerechtigkeit kann ich nicht ertragen», sagte Heynckes dem «Kicker». Er dagegen sei stets für andere Werte eingetreten.

«Offenheit, Teamgeist, Ehrlichkeit, Arbeitsmoral hast Du uns vorgelebt, heute vermisse ich diese Werte manchmal im Fußball», meinte Schweinsteiger. Als neuntes von zehn Kindern eines Schmieds aus Mönchengladbach lernte Heynckes seine Lebenswerte früh. «Es war eine karge Zeit. Es gab nicht viel. Man hat gelernt, mit wenig auszukommen. Und wenn wir auch nicht viel hatten, so hat mir doch nie etwas gefehlt», sagte Heynckes der «Rheinischen Post».

Trotz des Drangs, mehr als die Heimat und Borussia Mönchengladbach kennenzulernen – als Spieler zog es ihn früh nach Hannover, als Trainer später bis nach Spanien und Portugal – blieb Heynckes dem Niederrhein doch immer fest verbunden. Mit seiner Borussia gewann er als Spieler vier von fünf Meisterschaften des Clubs und begann auch dort seine Trainerkarriere. Als er zum Ende der Saison 2012/2013 mit den Bayern bei seinem Heimatclub antrat, berührten ihn die Reaktionen der Zuschauer in seinem vermeintlich letzten Bundesliga-Spiel sehr. «Das zeigt mir, dass das meine Heimat ist», sagte Heynckes unter Tränen. Bis heute ist er mit 195 Treffern Borussias Rekordtorjäger.

Ein «typischer» Rheinländer ist er bis heute nicht. Keine Frohnatur, erst recht nicht oberflächlich-kumpelhaft, eher zurückhaltend und bedacht. Schon als junger Spieler fiel seine Bodenständigkeit auf. Auch als Welt- und Europameister wäre er in den 70er Jahren nie auf die Idee gekommen, einen Sportwagen wie etwa sein Kumpel Günter Netzer zu fahren. Heynckes fuhr lieber «Diesel, weil es den für 20 Pfennig den Liter in Holland gab. Das sitzt so in mir drin».

Legendär ist auch der Satz von Gladbach-Präsident Rolf Königs, nachdem Heynckes‘ zweite Amtszeit als Borussen-Coach 2007 wenig erfolgreich vorzeitig zu Ende ging. «Gewaschen und vollgetankt» habe Heynckes seinen Dienstwagen abgegeben, berichtete Königs und wollte damit verdeutlichen, welch feiner Kerl Heynckes doch sei.

Damals schien dessen Trainer-Karriere vorbei. Heynckes galt vor allem in Deutschland nicht immer als Lichtgestalt. «Jede Biografie hat Höhen und Tiefen, das ist doch klar», gestand Heynckes selbst. Vor allem als junger Trainer galt der ehrgeizige Heynckes als verbissen und stur, auch wenn er damals schon junge Spieler wie Lothar Matthäus und Uwe Rahn förderte, zu denen er bis heute nach eigener Aussage ein ebenso enges Verhältnis wie zu Schweinsteiger und Kroos habe.

Seine Borussia hielt er in den 1980er Jahren mit bescheidenen Mitteln in der nationalen Spitze, Titel gewann er als Trainer aber erst nach seinem Wechsel zum Erzrivalen nach München. Nach zwei Meisterschaften setzte ihn sein Freund Uli Hoeneß 1991 aber vor die Tür, was dieser später als seine «größte Fehleinschätzung» bereute.

Heynckes wurde in Spanien bei Athletic Bilbao, CD Teneriffa und Real Madrid oder später in Portugal bei Benfica Lissabon lockerer, erlebte aber vor allem in Frankfurt 1995 oder auf Schalke 2004 und wieder in Gladbach 2007 Enttäuschungen. Eine Spur des Scheiterns blieb selbst an ihm haften, als er mit Real 1998 die Champions League gewann. Der Club, «ein Olymp für einen Trainer» (Heynckes), hatte zuvor bereits entschieden, nicht weiter mit ihm arbeiten zu wollen.

Es waren die Bayern und sein Freund Hoeneß, die ihm die Reputation als Trainer zurückgaben. Nach dem Aus von Jürgen Klinsmann als Bayern-Coach führte Heynckes den Rekordmeister 2009 noch in die Champions League. Wieder vom Ehrgeiz gepackt, funktionierte er anschließend in Leverkusen wieder. Die Bayern holten ihn 2011 zurück, seine dritte Amtszeit endete mit dem Triple-Triumph. Seitdem wird der Schmied-Sohn aus Mönchengladbach-Holt auch bundesweit geschätzt.

Fotocredits: Tobias Hase

(dpa)
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