Kirch und Corona: Ahnlich und doch anders

Hamburg – Clubs in Existenzangst, Forderungen nach Gehaltsverzicht, Mahnungen zum Umdenken: Das sind die Schlagworte zur bisher größten Finanz-Krise in der Geschichte der Fußball-Bundesliga – und es waren die gleichen wie jetzt.

Die Kirch-Pleite in Folge eines vor 20 Jahren abgeschlossenen Rekord-TV-Vertrages erschütterte die Bundesliga. Heute stellt die Corona-Pandemie den Profifußball erneut vor existenzielle Herausforderungen. Die Krisen-Szenarien ähneln sich in vielem – und doch ist einiges anders.

Die größten Gemeinsamkeiten der Kirch- und der Corona-Krise sind die Millionen-Summen aus dem TV-Geschäft und die Angst vor der Pleite. Über den Unterschied sagte der Sportkommunikations-Experte Thomas Horky: «Es hat immer Fußball gegeben, selbst noch im Krieg 1944. Zum ersten Mal ist aber gar nichts.» Der Professor an der Macromedia Hochschule in Hamburg erklärte: «Dadurch wird die Abhängigkeit der Vereine von den Medien noch deutlicher.»

Die Vorgeschichte der Kirch-Krise: Am 29. April 2000 verkündete der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Milliarden-Deal mit Kirch – gerechnet noch in alter Währung. Drei Milliarden Mark (etwa 1,534 Milliarden Euro) für vier Jahre wollte Medienmogul Leo Kirch an die 36 Proficlubs zahlen. Dieser Vertrag war in zweierlei Hinsicht ein Meilenstein. Er stieß finanziell in neue Dimensionen vor. Und erstmals wurden durch ihn alle Spiele live im Pay-TV gezeigt, beim Kirch-Kanal Premiere (heute: Sky).

Er war zugleich der Beginn der großen Abhängigkeit der Vereine von den Fernseh-Zuwendungen. In der ersten Saison 2000/2001 flossen 695 Millionen Mark. Das war eine Steigerung im Vergleich zur Spielzeit zuvor (330 Millionen Mark) von deutlich über 100 Prozent.

Um so härter traf die Bundesliga die Kirch-Krise. Am 8. April 2002 meldete KirchMedia Insolvenz an. Das vorwiegend auf Schulden gebaute Medien-Imperium des 2011 gestorbenen Leo Kirch fiel zusammen. Es folgten Wochen der Panik und der Unsicherheit.

«Die Kirch-Pleite betraf damals die TV-Gelder für die komplette Saison 2002/03. Das war ein richtiger Donnerschlag», sagte der Ex-Leverkusen-Manager Reiner Calmund bei «spox.com». «Rein buchhalterisch und wirtschaftlich war die Krise für den deutschen Fußball damals schlimmer.»

Viele Clubs stöhnten über Liquiditätsprobleme. Bayern Münchens damaliger Manager Uli Hoeneß zeigte nur wenig Mitgefühl für die Konkurrenz. «Endlich gibt es eine Begründung für das, was seit Jahren so schleichend daherkam: Dass Vereine nämlich völlig über ihre Verhältnisse gelebt haben», sagte der heutige Bayern-Ehrenpräsident im Sommer 2002 der Tageszeitung «Die Welt». «Es ist doch prima, egal ob das jetzt der richtige oder der falsche Grund ist: Endlich kehrt Vernunft ein.»

Die Vernunft kehrte – wenn überhaupt – nur kurz zurück. Vielleicht weil die Liga am Ende noch halbwegs glimpflich davonkam. Es gab schließlich neue Verträge. Die Vereine mussten mit rund 30 Prozent weniger aus dem TV-Topf auskommen.

Erstmals seit Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 sanken dadurch die TV-Einnahmen. Aber nur in zwei Spielzeiten (2002/2003: 290 Millionen Euro und 2003/2004: 280 Millionen Euro) erlebte die DFL eine Delle. Danach ging es wieder stetig nach oben – genauso wie die Ausgaben für Spieler und Transfers.

Zum Vergleich: 4,64 Milliarden Euro teuer ist der derzeit laufende Vierjahresvertrag. Im Schnitt bekommen die Clubs 1,159 Milliarden Euro pro Saison – wenn sie denn spielen. Das ist ein entscheidender Unterschied.

«Bei der Kirch-Krise fiel ja der, der bezahlen hätte müssen, weg, obwohl man das Produkt liefern konnte», sagte Bayer Leverkusens ehemaliger Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser dem «Kicker». Der 70-Jährige erklärt: «Heute ist es umgekehrt, die Rechteinhaber können ja zahlen.» Die Liga hingegen kann derzeit ihren TV-Partnern und diese wiederum ihren Zuschauern keine Live-Ware liefern.

Welche Bedeutung das TV-Geld hat, geht aus dem Wirtschaftsreport der DFL für 2020 hervor: Der Anteil der medialen Vermarktung aus allen nationalen und internationalen Wettbewerben liegt bei einem Gesamtumsatz von 4,8 Milliarden Euro (2018/19) bei 36 Prozent.

Verständlich, dass DFL-Geschäftsführer Christian Seifert und die Vereine wieder spielen lassen und ihr Produkt im TV präsentieren wollen. Auch als Geisterspiele. Sonst droht allein für die fehlenden Partien der laufenden Spielzeit ein Finanzloch von insgesamt 750 Millionen Euro.

Die Abhängigkeit zwischen Fußball und Medien beruht auf Gegenseitigkeit – mittlerweile sogar mit Vorteilen für die DFL, meint der Wissenschaftler Horky: «Die Krise jetzt ist total anders als 2002, weil das Medienumfeld komplett anders ist.» Damals gab es noch keine Streaming-Dienste wie DAZN, das Internet war erst noch am Beginn der Entwicklung, ebenso das Pay-TV. In der jüngsten Zeit tauchten auch neue Mitspieler wie die Telekom oder Amazon auf.

Die DFL kann nach Horkys Ansicht dem Bieterwettstreit um TV-Rechte für 2021/22 bis 2024/25 selbstbewusst entgegensehen. «Und wenn alle Stricke reißen, machen es die Clubs selbst», betonte der Sportkommunikations-Experte.

Fotocredits: Frank Leonhardt
(dpa)

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