Volocopter – in die Luft gehen gegen den Verkehrskollaps

Karlsruhe – Er trägt Chinos, Hemd und Pullover, steht einem Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern vor und macht einen ganz vernünftigen Eindruck. Doch wenn Florian Reuter von seiner Vision erzählt, kommen Zuhörer auch mal ins Zweifeln.

Der Unternehmer aus Karlsruhe will mit autonomen Flugdrohnen den Nahverkehr revolutionieren und die Städte vom Stau befreien, und das schon bald.

Reuter ist mit seiner Vision vom sogenannten Volocopter nicht allein. In München arbeitet Lilium mit dem Lilium Jet an einem ganz ähnlichen Projekt und auch anderswo auf der Welt kreisen bei Visionären, Aeronautikern und Automobilentwicklern die Gedanken um den individuellen Lufttransport als Alternative zum täglichen Stillstand im Stau.

Die Idee vom fliegenden Auto ist fast so alt wie der Pkw und das Flugzeug selbst. Nachdem sie bislang an der Steuerung, am Lärm der Triebwerke und vor allem an den nötigen Fluglizenzen und den damit verbundenen Kosten für den Nutzer gescheitert ist, erscheint sie mittlerweile tatsächlich greifbar. Das zumindest glaubt der Schweizer Zukunftsforscher Lars Thomsen und sieht den Pkw schon in zehn, zwanzig Jahren in luftiger Höhe durch die Städte schwirren.

Dafür macht er eine Reihe von Faktoren aus: Statt wie bislang an manuell geflogenen Autos zu forschen, die neben einer Pilotenlizenz auch eine Startbahn bräuchten, fokussierten sich die Entwicklungen derzeit auf elektrische Senkrechtstarter mit Autopilot. «Die können überall abheben und jeder kann sie nutzen», sagt Thomsen.

Auch die Akteure sind inzwischen andere: Haben früher Tüftler und Visionäre mit abenteuerlichen Finanzierungen oder dem eigenen Vermögen mühsam Geld für ihre Forschung zusammengekratzt, stecken jetzt Konzerne wie Google, Uber oder Skype und namhafte Auto- oder Flugzeughersteller hunderte Millionen in solche Projekte. «Das erhöht die Seriosität und das Tempo», sagt Thomsen.

An der Technik mangelt es offenbar nicht mehr: Florian Reuters von 18 elektrischen Rotoren angetriebener und neun Batterien gespeister Volocopter hat seinen Jungfernflug hinter sich und ist in diesem Herbst publikumswirksam über Dubai geschwirrt. Die Elektromotoren haben den Herstellern zufolge genügend Leistung und die Batterien genügend Kapazität für Traglasten von weit über 100 Kilogramm sowie Reichweiten von mehr als 300 Kilometern.

Allein schon bessere Spielzeugdrohnen machen deutlich, wie weit der automatisierte Flugbetrieb bereits gediehen ist. Wenn schon Geräte für wenige Hundert Euro Laternenpfosten ausweichen und um andere Drohnen herumfliegen, so Thomsen, warum sollten dann tausendfach teurere Fluggeräte nicht sicher von A nach B fliegen können?

Volocopter-Chef Reuter jedenfalls findet Gehör, wenn er seinen Plan vorstellt: Im kommenden Jahr will er den Volocopter – dann noch mit Pilot am Steuer und Lizenz in der Tasche – als futuristisches Sportgerät auf den Markt bringen. In einer zweiten Phase plant er bemannte Taxiflüge in Ballungszentren und in der dritten dann den autonomen Betrieb. «Und das wird schneller gehen, als wir alle glauben», ist er überzeugt.

Mit diesem Szenario konnte er Daimler als Partner ins Boot holen. Die Schwaben haben sich an der Firma beteiligt und hoffen darauf, bald ihre eigenen Akkus aus Smart & Co im Volocopter fliegen lassen zu können. Damit erfüllen sie gar eine Vorgabe ihrer Firmengründer: Die drei Spitzen im Stern stehen dafür, dass man mit einem Mercedes zu Lande, zu Wasser und in der Luft unterwegs sein soll.

Auch andere Großkonzerne bringen sich in Startposition: Nach Angaben des Marktforschungsinstituts Gartner hat kürzlich Toyota angekündigt, womöglich schon zu den Olympischen Spielen im Jahr 2020 in Tokio mit einem Flugauto überraschen zu wollen. Der chinesische Autohersteller Geely wiederum hat das Projekt Terrafugia übernommen, bei dem unter dem Namen «Transition» ein Auto mit Flügeln entwickelt wird.

Airbus hat gemeinsam mit der Audi-Tochter Italdesign auf dem Genfer Salon im Frühjahr ein Konzept gezeigt, das drei Verkehrsträger miteinander verbinden soll: Die Studie «Pop.up» setzt auf eine Karbonzelle für zwei Passagiere, die – so die Idee – an einem Gestell mit Rotoren wie eine Drohne fliegen kann, die auf einer Bodenplatte mit Rädern zum Elektroauto wird und die sich für lange Distanzen auch auf Züge stellen oder durch Röhren wie Elon Musks Hyperloop schießen ließe.

Natürlich müssten sich Menschen erst noch an die Vorstellung gewöhnen, wie Kuriergut verladen und fremdbestimmt befördert zu werden, räumt Matthias Thomsen ein, der bei Airbus die Sparte für Urban Air Mobility leitet. Doch die Technik könnte das Leben in Städten und Ballungsräumen erheblich verbessern, ist er überzeugt: «Das Hinzufügen der dritten Dimension zu reibungslosen multimodalen Transportnetzwerken verbessert zweifellos die Art und Weise, wie wir leben und uns von A nach B fortbewegen.»

Der Zukunftsforscher Lars Thomson geht sogar noch weiter und hält den individuellen Luftverkehr für eine logische Konsequenz der bisherigen Entwicklung. «Beim Wohnen und Arbeiten sind wir aus Platzmangel längst in die Luft gegangen», sagt er mit Blick auf Skylines voller Wolkenkratzer. Nur die Straßen seien bis heute auf dem Boden geblieben oder unter die Erde gegangen. «Wenn wir mobil bleiben wollen, muss auch der Verkehr effizienter werden und die dritte Dimension nutzen.»

Fotocredits: Christoph Schmidt
(dpa)

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