Was ein Reiseautor über Stuttgart zu verraten hat

Stuttgart – Eine blaue Vespa kommt den Hügel zum Santiago-de-Chile-Platz in Stuttgarter Halbhöhenlage hinauf gedüst und Jens Bey steigt ab. Der feinstaubgeschwängerte Kessel präsentiert sich von hier aus als Postkarten-Panorama.

«Es ist fast mediterran hier, die Mauern riechen nach Sandstein und Sonne – ein typischer Stuttgart-Geruch.» Jens Bey zuhören – das ist zuweilen wie einen Reiseführer zu lesen.

Und das ist kein Wunder: Der Mann ist Autor und Lektor von Reiseführern, schwerpunktmäßig für
Marco Polo. Seine Titel heißen «Stuttgart für Stuttgarter» oder «Stuttgart – Beste Stadt der Welt». Doch Bey und Stuttgart – das war keine Liebe auf den ersten Blick. «Das Image der Stadt ist ziemlich mies», sagt der Zugezogene. «Es braucht eine Weile, um sie zu entdecken.»

Nach 20 Jahren in der Landeshauptstadt gilt er mittlerweile als Experte für die Stadt im Kessel. Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte Bey in Brasilien, Mexiko und Spanien, im Alter von zehn kam er ins Ländle. «So richtige Wurzeln habe ich nicht», sagt der leidenschaftliche Weltenbummler. «Aber wenn man dann irgendwo neu Wurzeln schlägt, ist es umso schöner».

Zum Schreiben kam er als Redakteur einer Tageszeitung. Als eine Entlassungswelle ihn den Job kostete, hieß es für Bey: Nächster Halt – Reisebranche. In der Welt unterwegs ist Bey jedoch meistens privat – Schreiben tut er hauptsächlich über die Stuttgarter Region. Dass die Autoren von Reiseführern in der jeweiligen Region leben, ist bei Marco Polo Pflicht. Als Lektor darf es für Bey auch die weite Welt sein. Dass er schon viele Orte bereist hat, kommt ihm dabei zugute: «Wenn ich einen Führer über Malaysia lektoriere, ist es hilfreich, wenn ich das Land kenne.»

Nicht nur die klassischen Sehenswürdigkeiten, sondern auch Geheimtipps kennen – darauf kommt es für einen guten Autoren an. Seine Recherche für die Doppelseite «Betrunken in Spelunken» führte Bey in Etablissements, die wohl auch manch langjähriger Stuttgarter nicht unbedingt kennt. «Über Orte zu schreiben, an denen man selbst nicht war, ist ein absolutes No-Go», meint Bey. Sein Geheimtipp für Stuttgart: Einfach in die U15 setzen und den Blick an der Pischekstraße genießen. «Da sieht Stuttgart aus wie Florenz.»

Ein typischer Tag beginnt für den Autoren ganz klassisch mit Zeitungslektüre. Später trifft sich Bey oft mit Hoteliers und Menschen, die etwas Neues eröffnen oder er schreibt und lektoriert. Sein Büro im Stuttgarter Westen teilt er sich mit zwei Kolleginnen. «Ansonsten kann der Job auch sehr einsam sein», sagt der studierte Geograf.

Reisetipps von Bloggern oder Urlaubsfotos auf Instagram stehen besonders bei jüngeren Reisenden heute hoch im Kurs. Ist der klassische Reiseführer in Zukunft also überhaupt noch gefragt? Jens Bey glaubt daran. «Die wenigsten Blogs sind ausreichend kuratiert», meint der 53-Jährige, der selbst auf jeder Reise einen Führer aus Papier im Gepäck hat.

Die Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub & Reisen hat untersucht, welche Online- und Offline-Medien die Deutschen für ihre Urlaube 2017 genutzt haben. Für 16 Prozent gehörte der klassische Reiseführer dazu – nicht nur zur Inspiration, sondern auch als Informationsquelle. Die Studie belegt jedoch auch, dass Urlauber, die älter als 50 sind, häufiger Reiseführer nutzen als jüngere. Außerdem sind die Bücher beliebter bei Pauschalreisenden als bei Touristen, die individuell buchen. Die Prognose des mitwirkenden Tourismusforschers Philipp Wagner lautet: «Qualitativ hochwertige Reiseführer werden auch gegen die zunehmende Konkurrenz aus dem Internet bestehen können – für den Rest wird es schwierig.»

Beys Bücher gehen heute weit über klassische Touristenführer hinaus, seine letzten Titel befassen sich mit Bushaltestellen in aller Welt oder dem Thema «Wie überlebt man draußen?». Solange Fragen wie diese noch nicht abschließend geklärt ist, wird Bey die Arbeit wohl nicht ausgehen.

Fotocredits: Sebastian Gollnow
(dpa)

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