Die Bullen von Leipzig sind schon lange angekommen

Leipzig – In diesem Moment grätscht der RB-Fan beherzt dazwischen. «RasenBallsport», korrigiert er den Moderator, nicht Red Bull Leipzig. Beim Sensationsaufsteiger in der Fußball-Bundesliga ist manches anders.

Anders als es in New York ist, wo RB auch für New York Red Bull steht. Oder bei Red Bull Brasil oder beim Heimatclub Red Bull Salzburg oder beim deutschen Eishockeymeister EHC Red Bull München. In Leipzig steht RB offiziell für den bis dahin eher seltenen Vereinsnamen «RasenBallsport».

Und doch ist der Name des Hauptsponsors der Sachsen omnipräsent, selbst wenn er im Vereinsemblem nicht auftaucht. Erst recht das einprägsame Wappen, die beiden roten Stiere, rot und in Kampfhaltung. Auch an diesem Abend bei der Vorabpräsentation einer Dokumentation über das Projekt RB Leipzig im Panorama Tower.

120 Meter über der Stadt kann man den Blick schon mal schweifen lassen. In den Straßen weisen Lampen den Weg. Der Bahnhof ist in Sichtweite. Nicht weit davon entfernt die Spielstätte der «Roten Bullen». Die Red-Bull-Arena, auf der spektakulären Dachkonstruktion prangern sie auch, die beiden Bullen. Gleich in doppelter Ausführung.

RB ist zu einem neuen Orientierungspunkt der 580 000 Einwohner zählenden Stadt geworden. «Hier wächst eine neue Generation mit dem Verein auf», kommentierte einmal Trainer Ralph Hasenhüttl. Zum 5. Glühwürmchenumzug kamen in diesem Jahr 8000 Besucher. «Es ist absolut beeindruckend, wie viele Kinder und Erwachsene hier dabei sind», sagte Hasenhüttl. Und mittendrin die Spieler. Profis hautnah. Bundesliga zum Anfassen, auch bei den Spielen herrscht Familienausflugsstimmung.

Die Gründe für das Phänomen RB Leipzig scheinen vielfältig: Die überschaubare Größe der Stadt, in der man sich dem Club mit seiner ebenso zentralen wie präsenten Lage praktisch gar nicht entziehen kann. Einwohner, die nach erstklassigem Fußball jahrelang lechzten. Zwei heimische Vereine, deren ruhmreiche Zeiten Vergangenheit sind und jetzt nur noch überregional Bedeutung erlangen, wenn sie unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen gegeneinander antreten.

Dazu die handelnden Personen: Wie auch in der Formel 1, als Red Bull es binnen fünf Jahren zum Serien-Weltmeister mit Sebastian Vettel schaffte, bewiesen Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz und seine Ratgeber bei der Stellenbesetzung in Leipzig Geschick und Gespür. Rangnick ist seit 2011 mitverantwortlich, im vergangenen Sommer kam Hasenhüttl. Das Duo harmoniert perfekt. An der Spitze des Vereins steht Oliver Mintzlaff, der jüngst den Stadion-Kauf mit Noch-Besitzer Michael Kölmel aushandelte.

Noch immer wird der Verein wegen der Gelder aus Österreich von Fußball-Traditionalisten und -Romantikern verpönt. «Plastikclub», «Marketing-Vehikel» – nur zwei Beispiele für eher despektierliche Bezeichnungen. Nicht erst seit jenem 8. Mai dieses Jahres, als RB seinen ebenso wundersamen wie rasanten Aufstieg bis in die höchste deutsche Spielklasse durch ein 2:0 gegen den Karlsruher SC als Tabellenzweiter perfekt machte und sich Rangnick auf der Flucht vor einer Bierdusche eine Muskelverletzung im linken Oberschenkel zuzog.

Gegründet wurde RB Leipzig am 19. Mai 2009. Schon seit längerer Zeit hatte Mateschitz versucht, in seinem Imperium auch einen deutschen Verein zu etablieren. Leipzig schien prädestiniert. Hochglanzstadt, aber ohne hochklassigen Fußball. Gründungsstadt des Deutschen Fußball-Bundes am 28. Januar 1900.

In der Saison 1993/1994 vertrat der VfB Leipzig die Stadt im Oberhaus. In der Ewigen Tabelle rangierte der Verein aber auf dem 53. Platz mit nur 3 Siegen, 11 Unentschieden und 20 Niederlagen. Schlechter war in der Geschichte der Bundesliga nur der SV Tasmania Berlin (2/4/28).

RB übernahm zur Saison 2009/2010 das Startrecht des SSV Markranstädt in der Oberliga Nordost. Aufstieg 2010, Aufstieg 2013, Aufstieg 2014, Aufstieg 2016. «Doch unser Weg ist noch lange nicht zu Ende, denn wir wollen dem Fußball in dieser so sportbegeisterten Stadt nun auch im Oberhaus den Stellenwert geben, den Leipzig und den die Region verdient hat», heißt es auf der Homepage des Clubs.

Als 55. Bundesligist mischt RB direkt vorn mit. «Manchmal denke ich, RB zeigt uns im Zeitraffer, was wir in Leipzig alle zusammen in den vergangenen Jahrzehnten geschafft haben», sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung in seiner Weihnachts- und Neujahrsbotschaft. «In den 90er Jahren, von vielen in Deutschland kaum mehr wahrgenommen, haben es die Menschen in dieser Stadt, haben Sie es geschafft, dass Leipzig wieder zu sich selbst gefunden hat und heute voller Selbstbewusstsein ganz oben unter den europäischen Metropolen mitspielt.»

Und im nächsten Jahr womöglich auch gegen die Fußball-Clubs europäischer Metropolen. Mateschitz erklärte die Teilnahme am internationalen Wettbewerb zum Minimalziel. Als Zweiter sind Spieler und Verantwortliche in die Winterpause gegangen, nach dem 0:3 beim FC Bayern mit drei Punkten weniger als der Titelverteidiger und Rekordmeister. Auf die drittplatzierte Hertha hat RB aber satte sechs Zähler Vorsprung, auf den sechsten und damit auch noch sicheren Europa-League-Platz sogar neun Zähler.

RB Leipzig hat mit seinem Hochgeschwindigkeitsfußball die Liga durcheinandergewirbelt. «Du kommst mit dem Zugucken gar nicht mit, so schnell geht es», sagt Hasenhüttl in der Dokumentation des Bezahlsenders Sky an diesem Abend im höchsten Restaurant Mitteldeutschlands, wie der Panorama Tower selbst wirbt.

Und er spricht vom Training. In den Spielen setzt seine Mannschaft den Powerfußball par excellence ebenso um. Einzig beim damaligen Tabellenletzten FC Ingolstadt und beim Tabellenersten FC Bayern hakte es, RB verlor. Aus dem 0:1 zogen Hasenhüttl und seine junge Mannschaft entsprechende Lehren und bezwangen Hertha anschließend souverän mit 2:0. Das 0:3 nahmen sie erstmal mit in die Winterpause.

Am 3. Januar startet RB mit der Vorbereitung, am 4. fliegt das Team ins Trainingslager an die Algarve. Die Interview-Anfragen türmen sich bereits. RB ist Gesprächsstoff, polarisiert. So wie der FC Bayern, wobei an dieser Stelle die Parallelen fast auch schon wieder enden.

Leipzig setzt auf junge und immer noch auszubildende Spieler, immer noch eher unbekannt im Vergleich zu den fertigen Superstars der Münchner zum Beispiel. 30 Millionen beträgt das Gehaltsbudget für die 23 Profis, heißt es. Intern wurde eine Gehaltsobergrenze von drei Millionen festgelegt.

Allerdings soll die nicht für die nächsten fünf Jahre gelten, hatte Sportdirektor Rangnick Mitte November erklärt: «Wir werden uns auch diesbezüglich weiterentwickeln.» Man wolle rechtzeitig auf den einen oder anderen Spieler zugehen und das Arbeitsverhältnis ausweiten, kündigte Rangnick an. «Und in diesem Zuge werden wir aufgrund der sportlichen Entwicklung auch die Gehaltszahlungen anpassen.» Jüngst wurde der Vertrag mit Diego Demme bis 2021 vorzeitig verlängert.

Dem Zufall wird bei RB nichts überlassen. Weder was die personelle Planung, noch was die personelle Betreuung betrifft. Selbst wenn manches zunächst ungewöhnlich erscheint. Jeden Tag muss jeder Spieler ins Labor. «Wie geht es?», lautet die Frage. Das Befinden wird kontrolliert. Schlafenszeiten werden registriert. Täglich werden bestimmte Blutwerte gemessen. Leistungsdiagnostik auch um Verletzungen vorzubeugen. Und sie wird immer weiterentwickelt. Die Spieler waren zunächst verwundert, haben sich aber dran gewöhnt und sind begeistert.

Wer sich aber nicht an die Regeln hält, für den wird es schwer. Die beiden U19-Nationalspieler Idrissa Touré und Vitaly Janelt hatten vor einigen Wochen die Akademie des Vereins aus disziplinarischen Gründen verlassen müssen. «Wir haben es in der Vergangenheit auf verschiedene Art und Weise schon versucht. Das hat alles nichts geholfen. Deshalb war es jetzt an der Zeit, drastischere Maßnahmen zu ergreifen», hatte Rangnick erklärt.

Wer es aber in die Akademie schafft, der wird unter hochmodernen Bedingungen ausgebildet. Von der U15 bis zur U23 wird dort trainiert, Luftlinie etwa 300 Meter vom Stadion der Profis entfernt. 50 Einzelzimmer gibt es im Internat, eine Turnhalle, 30 Ruheräume und Tageszimmer für die Profis, Büroflächen, eine Indoorlaufbahn und noch einiges mehr. Fast 14 000 Quadratmeter misst das gesamte Gelände, das ebenso wie das Stadion fußläufig vom Hauptbahnhof in 20 bis 30 Minuten zu erreichen ist. Und überall ist das Emblem allgegenwärtig von Red Bull, pardon: RasenBallsport Leipzig.

Fotocredits: Jan Woitas
(dpa)

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